Raum
Räumlichkeit
Der Raum, wie ihn der Handwerker und Naturwissenschaftler für ihre Zwecke benötigen, besteht nicht aus Körpern, sondern aus Orten (genauer: relative Orten). Der nötige Ortsbegriff lässt sich zirkelfrei nur auf Grundlage unwillkürlicher leiblicher Erfahrungen einführen. (Vgl: S-Replik Pos107)
Geschichte des Raumbegriffs
In der abendländische Tradition ist die Aufmerksamkeit auf Raumformen ausschließlich auf flächenhaltige Räume gelenkt worden.
Typologien des Raumbegriffs
- Objektiver Raum: Ortsraum
- Subjektiver Raum: Weiteraum, Richtungsraum
- Absoluter Raum: Ein Raum als Behälter
- Relativer Raum: Mehrere Räume als Behälter
- Relationaler Raum: Netz als Behälter, Verstricker
- Topischer Raum: In-Sein
Raum als Behälter
- Raum als absoluter Behälter
- Raum als relativer Behälter
Raum als relationales vierdimensionales Feld: Raumzeit
Siehe: Feld und Raum, Ortsraum
Von den Sachen zum "Feld" als objektiven Sachverhalt: Siehe Sachen und Sachverhalte
Raumzeit als objektive Prozessgestalt
Siehe: Prozessontologie
Raum als Medium des In-Seins
Siehe: Leib als Medium
Raum und durchdringende Körper
Siehe: Weiteraum
Grundlegende Raumtypen
Dimensionaler Raum | Topischer Raum |
---|---|
flächenhaltig | nicht flächenhaltig |
teilbare Ausdehnung | unteilbare Ausdehnung |
relative Örtlichkeit | absolute Örtlichkeit |
- Dimensionaler Raum (auch Ortsraum)
- flächenhaltig
- teilbare Ausdehnung
- relative Örtlichkeit
- Topischer Raum (auch leiblicher Raum, Leibraum)
- nicht flächenhaltig
- unteilbare Ausdehnung
- absolute Örtlichkeit
mathematischer Raum | erlebter Raum |
---|---|
homogen | nicht homogen |
Kein Punkt ist vor dem anderen ausgezeichnet. Dieser Raum hat keinen natürlichen Koordinaten-Mittelpunkt, sondern man kann aus Gründen der Zweckmäßigkeit durch eine einfache Koordinaten-Verschiebung jeden beliebigen Punkt zum Koordinaten-Mittelpunkt machen. | Es gibt in ihm einen ausgezeichneten Mittelpunkt, der in irgendeiner Weise ... durch den Ort des erlebten Menschen im Raum gegeben ist. |
Auch keine Richtung ist vor der anderen ausgezeichnet. Man kann durch eine einfache Drehung jede beliebige Richtung im Raum zur Koordinaten-Achse machen. | Es gibt in ihm ein ausgezeichnetes Achsensystem, das mit dem menschlichen Körper und seiner aufrechten, der Schwerkraft entgegengestellten Haltung zusammenhängt. |
Die Gegenden und Orte in ihm sind qualitativ unterschieden. Auf ihren Beziehungen baut sich eine reiche inhaltliche Gliederung des erlebten Raumes auf, für die es im mathematischen Raum kein Analogon gibt. | |
Dabei gibt es nicht nur fließende Übergänge von einem zu andern Bereich, sondern auch scharf ausgeprägte Grenzen. Der erlebte Raum weist ausgesprochene Unstetigkeiten auf. | |
Auch das Problem der Unendlichkeit wird wesentlich komplizierter. Der erlebte Raum ist zunächst als ein abgeschlossener endlicher Raum gegeben und erweitert sich erst in späteren Erfahrungen zur unendlichen Weite. | |
Im ganzen ist der erlebte Raum kein wertneutraler Bereich. Er ist durch Lebensbeziehungen fördernder wie hemmender Art auf den Menschen bezogen. Er ist tragend wie hemmend das Feld menschlichen Lebensverhaltens. | |
Jeder Ort im erlebten Raum hat seine Bedeutung für den Menschen. Darum sind es in den Geisteswissenschaften gebräuchliche Kategorien, die wir zur Beschreibung des erlebten Raums heranziehen müssen. | |
Es handelt sich nicht um eine vom konkreten Bezug zum Menschen losgelöste Wirklichkeit, sondern um den Raum, wie er für den Menschen da ist, und in eins damit um das menschliche Verhältnis zu diesem Raum; denn beides ist voneinander gar nicht zu trennen. |
[Quelle: OFB-MuR 17f]
Dimensionaler Raum
Geometrischer und topologischer Raum
Vgl: Serres 2005, S. 67ff. (aus: BW-OZ 107}}
Phänomenaler Raum
Der Phänomenale Raum soll zusammenfassend als topischer Raum bezeichnet werden.
Räumlichkeit des Leibes (Cassirer)
[MP-PdW 437-442]
Leibraum (Schmitz)
Siehe: Leibraum, Gefühlsraum
Erlebter Raum (Bollnow)
Drei Raumtypen:
- innerweltlich-objektiver Raum, in dem Dinge und Menschen vorhanden sind
- intentionaler Raum, der sich in Abständen und Richtungen um das menschliche Subjekt aufbaut
- Eigenraum als Raum, den man hat und braucht
Gelebter Raum (Dürckheim)
espace vècu (Minskowski)
Lebensraum
Siehe: Lebensraum
Spezifische Räume
Vertrauensraum
- Raum, in dem man sich öffnen kann.
- Angstfreiheit
- Sicherheit bei der Zugehörigkeit zum System
- Sicherheit zur eigenen Rolle
Lernraum
- Raum, in dem man lernen kann.
- Gegenteil: In dem Moment, wo jemand auf Wut, Kampf oder Angst focussiert, wird jemand dümmer. Weil sein Denken eingeengter, weniger differenzierter wird. (Gunther Schmid)
- Welche Feedbackschleifen mit wem müssten eingerichtet werden, damit es eine lernende Organisation wird.
Syntopie, Verschränkung
Beide Räume kommen (normalerweise) syntopisch zur Deckung. Sind zwar nicht identisch, aber doch grundsätzlich koextensiv. Wo die Nadel die Hand sticht, dort tut es auch weh. Aber wir erfahren dabei keine zwei verschiedene Hände - die Hand als physischen, sicht- und tastbaren Körper und die Hand als Ort der Schmerzempfindung. Vielmehr ist sie von vorneherein apperzeptiv charakterisiert als Hand mit ihrem Empfindungsfeld, d.h. als eine physisch-aesthesiologische Einheit. (Fuchs 101)
Aufstellung als syntopisches Phänomen
In Aufstellungen stellt man fest, dass sich durch Stellvertreter auch der phänomenale Raum im dimensionalen Raum erfahrbar wird.
Syntopische Deckung des körperliche und leiblichen Raumes
subjektiv-leiblicher Raum
...
objektiv-körperlicher Raum
...
Ruhender und bewegender Raum
Intentionaler als sich bewegender Raum
Bollnow geht aus von dem intentionalen Raum Heideggers:
Analogie zur Aufstellung.
Siehe Kritik an der Intentionalität.
Therapie: Aufstellungen
- Aufstellungen sind überall möglich.
Naturraum als ruhender Raum
Therapie: Naturtherapie
Mythischer und wissenschaftlicher Raum
Die Unterscheidung zwischen mythischen und wissenschaftlichem Raum (von Kurt Hübner: Die Wahrheit des Mythos: 169f):
Wissenschaftlicher Raum | Mythischer Raum | |
---|---|---|
Medium | allgemeines Medium, in dem sich Gegenstände befinden | kein allgemeines Medium, sondern Raum und Rauminhalt bilde eine unauflösliche Einheit |
Gesamtraum | kontinuierliche, homogene und isotrope Punktmannigfaltigkeit (Gesamtraum) | keine kontinuierliche Punktmannigfaltigkeit dar, sondern ist aus lauter diskreten Elementen (Témena) |
homogen | Punkte sind nicht voneinander zu unterscheiden | nicht homogen, da sich in ihm Orte dadurch unterscheiden, dass sie nicht nur eine relative, sondern auch eine absolute Lage haben (Oben, Unten usf.). |
isotrop | isotrop, weil es für Ereignisfolgen gleichgültig ist, in welcher Richtung sie sich ausbreiten. | nicht isotrop, da es keineswegs gleichgültig ist, in welcher Richtung sich eine Ereignisfolge ausbreitet (rechts herum und links herum). |
Metrik | jeder räumliche Gegenstand ist metrisch bestimmt | nicht jeder räumliche Gegenstand ist metrisch bestimmt |
Wissenschaftlicher Raum
- Der Raum ist ein allgemeines Medium, in dem sich Gegenstände befinden.
- Dieses Medium wird als kontinuierliche, homogene und isotrope Punktmannigfaltigkeit aufgefasst. Sie ist homogen, weil Punkte nicht voneinander zu unterscheiden sind, und sie ist isotrop, weil es für Ereignisfolgen gleichgültig ist, in welcher Richtung sie sich ausbreiten. Diese Punktmannigfaltigkeit nennt man den Gesamtraum oder Weltraum.
- Jeder Gegenstand, sofern er wirklich ist, befindet sich an einer Raumstelle. Der Raum ist aber nur in diesem dreifachen Sinne topologisch (wobei es hier nicht erforderlich war, alle seine topologischen Eigenschaften aufzuzählen), sondern er ist auch metrisch definiert.
- Es steht fest, was unter der gleichen Länge zweier Raumstrecken zu verstehen ist und dass jeder räumliche Gegenstand eine metrisch bestimmte Ausdehnung nach drei Dimensionen besitzt.
Mythischer Raum
- Der mythische Raum ist kein allgemeines Medium, in dem sich Gegenstände befinden, sondern Raum und Rauminhalt bilden eine unauflösliche Einheit.
- Er stellt keine kontinuierliche Punktmannigfaltigkeit dar, sondern ist aus lauter diskreten Elementen, den sog. Témena, zusammengesetzt, die sich aneinanderreihen und Räumliches konstituieren.
- Der mythische Raum ist nicht homogen, da sich in ihm Orte dadurch unterscheiden, dass sie nicht nur eine relative, sondern auch eine absolute Lage haben (Oben, Unten usf.).
- Er ist nicht isotrop, da es keineswegs gleichgültig ist, in welcher Richtung sich eine Ereignisfolge ausbreitet (rechts herum und links herum).
- Mythisch wird ein heiliger von einem profanen Raum unterschieden. Der heilige Raum wird in den profanen eingebettet.
- Nicht alle Orte des heiligen Raumes lassen sich in den profanen einbetten, sie bilden, in der Sprache des Mathematikers ausgedrückt, Singularitäten (Olymp, Tartaros usf.). Auch hat die Einbettung zur Folge, dass identisch heilige Orte an verschiedenen Stellen des profanen Raumes mehrfach wiederkehren können (Omphalos).
- Der profane Raum ist topologisch ausschließlich durch die unter Punkt sechs angegebenen Phänomene bestimmt. Er gibt sich also nur dadurch zu erkennen, dass die heiligen Témena mit ihrer Diskontinuität, Inhomogenität und Anisotropie für den Sterblichen teils unerreichbar sind, teils in Gewande des Verschiedenen auftreten können, obgleich sie ein Gleiches sind. Der Mensch vermag zwar den heiligen Raum anzuschauen, ja, in ihm zu leben, aber dessen profane "Außenbetrachtung" führt zu topologischen Zerreißungen und Verzerrungen, welche dessen "Innenbetrachtung" nicht kennt.
- Mythisch gibt es keinen Gesamtraum, in dem alles seine Stelle hat, in den alles eingeordnet werden kann, sondern es gibt nur Aneinanderreihungen einzelner Raumelemente, und diese einmal als heilige (Témena) und zum anderen als profane.
- Während der profane Raum metrisch dadurch definiert ist, dass jeder seiner Gegenstände eine metrisch bestimmte Ausdehnung nach drei Dimensionen hat, gilt dies für den heiligen Raum nicht.
Zitate
- “... dass die Topologie einen relationalen Raumbegriff voraussetzt” (Pichler 24)
- “Die Vorstellung vom Raum als einem Gefüge, bei dem die Relationen letztlich wichtiger sind als die Relata, wird im Fall der Topologie in besonderer Weise anschaulich, befasst sie sich doch mit Strukturen wie Graphen, Oberflächen und Knoten, bei deren Studium es grundsätzlich mehr auf das Wie als auf das Was des jeweiligen Zusammenhangs ankommt. Jedenfalls hat gerade die Topologie regelmäßig solcher Denker angezogen, die - nicht nur im Hinblick auf den Raum - der Relation den Vorzug gegenüber absoluten Größen oder positiven Bestimmungen geben. Daher die Topologie-Rezeption im (Umfeld des) Strukturalismus. Jean Piaget etwa gewann durch seine Auseinandersetzung mit der mathematischen Topologie eine Serie von Relationsbegriffen, die ihm auch in epistemologischer Hinsicht fundamental zu sein schienen, und zwar nicht nur im Hinblick auf die ontogenetische Entwicklung von Raumvorstellungen: Ordnung, Nachbarschaft, Umhüllung und Kontinuität.” (Pichler 24-5)
- “Relations, it seems, are what we think with, rather than what we think of.” (aus: Pichler 26)
- "Mit festen Schultern steht der Raum gestemmt gegen das Nichts. Wo Raum ist, da ist Sein." Nietzsche (aus: S-L 147)