Gefühle
Gefühle sind das Wichtigste im Leben, weil nur durch sie den Menschen irgend etwas wichtig ist. Und diese Gefühle sind nicht subjektiv, sondern räumlich.
Gefühle sind leiblich spürbar. Gefühle sind keine unräumlichen privaten Seelenzustände, sondern räumlich und zwar topisch-räumlich präsent, sie können daher auch in Aufstellungen durch Stellvertreter erfahren werden.
Gefühle sind Kräfte, die uns spürbar bewegen ("motivieren"), zu Ausdrucksgesten veranlassen und in bestimmte Richtungen ziehen ("Affekte", "Emotionen"). (F-LRP 194)
Gefühle sind nicht subjektiv, sondern topisch-räumlich. (Vgl: S-I XI)
Gefühle zeigen uns an, in welcher Situation wir uns befinden.
Gefühle, Emotionen, Empfindungen, Sinneseindrücke, Kognition
Die übliche Trennung von Gefühlen, Körperempfindungen und Sinneseindrücken lässt sich nicht aufrechterhalten; sie haben im Begriff des Fühlens schon sprachlich eine gemeinsame Wurzel. (F-LRP 235)
Damasio: "Enge Verbindung von Emotionen und Kognition." (FV-OW 219)
Die Kognitionswissenschaft kann Gefühle nicht vollständig beschreiben, wenn sie nur als Ausdruck des Organismus verstanden werden, sich erfolgreich in der Welt zu bewegen. Daher ist ergänzende und relativierende phänomenologische Untersuchung geboten.
Jenseits der Innen-Außen-Metaphorik
Jenseits der Subjekt-Objekt-Spaltung
Beispiel in der Sprache
- "die Wut packt einen"
- "von Trauer übermannt werden"
- "von Kummer niedergedrückt werden"
- "Neid oder Eifersucht nagen an einem"
- "von stiller Freude durchströmt"
Fühlen des Gefühls
Gefühl und Fühlen
Unterscheidung zwischen Gefühl und Fühlen des Gefühls: Die Neue Phänomenologie stellt in gewissem Sinn das urchristliche Gefühlsverständnis wieder her, in dem sie scharf zwischen dem Gefühl selbst und dem Fühlen des Gefühls unterscheidet. (Vgl: S-WNP 44)
Fühlen | Gefühl | |
---|---|---|
Besuchen | Einladung | Gast |
Steuern | Kapitän | Boot |
Schwingen | Resonanzkörper | Schwingung |
Tragen | Person | Koffer |
Modi | Nicht Aktiv/Passiv sondern Medium | Nicht Aktiv/Passiv sondern Medium |
Initiator | Führungskraft | Seiten, Dämonen |
Die Unterscheidung zwischen Gefühl und Fühlen ist insbesondere bei fremden Gefühlen plausibel.
Im Bezug auf das Fühlen von Werten in der Tradition von Scheler und Mulligans wird auch die Unterscheidung von Gefühl und Fühlen betont:
Kausale Priorität des Gefühls vor dem Fühlen
Genese und Phänomen
Für die Unterscheidung zwischen Gefühl und Fühlen ist auch wichtig, die phänomenologischen von der genetischen Frage zu unterscheiden.
- Genetische Antwort: Ich gerate nicht Gefühle hinein, sondern die Gefühle entwickeln sich in mir in erkennbaren Ereignisketten aufgrund meiner Disposition und Erfahrungen. Neigung zum (reduktionistischem) Konstruktivismus der Gefühle.
- Entwicklung der Gefühle
- Als Resultat von persönlichen Vorerfahrungen, Situationen
- Gefühle sind stets privat, es gibt nur eigene Gefühle
- Phänomenologische Antwort: Gefühle werden als Atmosphären erlebt, in die ich hinein gerate. Neigung zum Objektivismus der Gefühle.
- Gefühle als Atmosphären
- Man gerät hinein, auch in fremde Gefühle/Atmosphären
- Gefühle sind (als Halbding) unabhängig vom Hineingeraten
Seitenmodell: Führungskraft und Dämonen
Die Unterscheidung von Person und Problem kann durch Explikation gefördert werden. (auch: Externalisierung) Findet Verwendung in der systemischen Therapie (z.B. bei Gunther Schmidt) als Seitenmodell.
Mein Gefühl
Possessorisches Missverständnis
Eine possessorische Gefühlsauffassung ist unangemessen. (Vgl: S-WNP 187)
Wenn die Rede von "meinem Gefühl" ist, darf das adjektivistische Personalpronomen "mein" nicht im possessiven Sinn als Besitzanzeige verstanden werden, sondern im subjektivierenden Sinn. (Vgl: S-WNP 181)
Neben eigenen Gefühlen gibt es auch sogenannte übernommene Gefühle.
Nicht mein Gefühl, sondern nur mein Fühlen.
Personaler Umgang mit Gefühlen
Wenn Gefühle kein Besitz sind, sondern Halbdinge, die kommen und gehen, ohne dass es Sinn macht zu fragen, wo sie in der Zwischenzeit waren, dann macht es Sinn, mit Gefühlen als Ausdruck einer Teilpersönlichkeit respektvoll umzugehen.
Siehe: Personales Fühlen
Gefühle als Ausdruck von Situationen
- Gefühle als Ausdruck von Teilpersönlichkeiten (partielle persönliche Situationen)
- Gefühle als situatives Interdependenzgeschehen (Gefühle als dynamische Struktureigenschaft)
Siehe: Gefühle und Situationen
Subjektivität des Ergriffenseins
Nicht zu verwechseln sind:
- die thematischen Zentrierung des Gefühls (z.B. als Trauer über dieses oder jenes Unglück) (Vgl: S-WNP 202): Ist häufig Privatsache, muss aber nicht, wie z.B. bei der Volkstrauer um Diana.
- die Subjektivität des Ergriffenseins von einem Gefühl (z.B. der Trauer) (tua res agitur): Ist immer Privatsache; stets das eigene Fühlen.
Optionale Meinhaftigkeit
Einem Gefühl muss keine Meinhaftigkeit zukommen, z.B. im Fall einer fremden oder "anonymen" Trauer kann diese Beziehung sehr viel lockerer sein. (Vgl: S-WNP 183)
Eigenes und fremdes Gefühl
Beispiele für fremde Gefühle:
- Gefühle, die einem gar nicht vertraut sind, die einem überkommen, z.B. durch Aufenthalt im einem Zimmer, Haus (Atmosphäre)
- Auch ein vertrautes Gefühl kann ein systemisch übernommenes Gefühl sein.
Fühlen
Typen des Fühlens
- Das Fühlen des Gefühls lässt sich unterscheiden in:
Passivität des Fühlens
- Fühlen als passives affektives Betroffensein
- Fühlen als Hineingeraten und Ergriffenheit
Passivität durch die Autorität der Gefühle
Kritik an der Passivität des Fühlens
Kritik von Fuchs: Ich würde sagen, dass Gefühle (im Unterschied zu Atmosphären) primär aus meiner subjektiven, persönlichen Situation resultieren, nicht aber aus einer Situation, in die ich "hineingerate". (Fuchs in: S-WNP 191)
Kritik von Böhme: Was aber verloren geht, ist die Anerkennung der Tatsache, dass Gefühle in unserem Lebenszusammenhang in der Tat in der Regel als Zustände der Innerlichkeit erfahren werden, und zwar insbesondere solche Gefühle, die durch das Leben im sozialen Kontext ausgelöst werden. (B-LaA 52)
Siehe: Darin-Sein
Aktivität des Fühlens
- Fühlen als aktives gestaltendes Umgehen
Trotz dem autoritativen Anspruch der Gefühle:
Kultivierung des Gefühls
Mit dieser Kritik am Faktum des Betroffenseins wird die passivierende Wirkung der Emotionen aufgehoben, dies jedoch durchaus im Sinne der Atmosphären-Theorie der Emotionen nicht vollständig hin zu einem neuen Umschlag zur Innenwelthypothese, sondern zu einem differenzierenden Sowohl-als-auch:
- Sowohl gilt, dass einen die klassischen Gefühle in einer ihnen schwer auszuweichenden Mächtigkeit überkommen,
- als aber auch gilt, dass der Mensch Einfluss auf diese Gefühle nehmen kann: Die Erkenntnis, "der Mensch ist nicht nur Knecht des Gefühls, sondern er gestaltet es auch," erlöst demnach aus der Knechtschaft unfreier Passivität und errettet nicht nur das Fühlen von Gefühlen, sondern auch die Gefühle selbst in den Bereich des Eigenen.
Siehe: Kritik an der Objektivität der Gefühle
Beschreibung der Gefühle
- Aktivität des sprachlichen Beschreibens der Gefühle, als Seiten von mir (Dissoziation)
Teilen des Gefühls und das je eigene Fühlen
Ergreifende Gefühle kommen ebenso über Kollektive wie über Einzelne. (S-WNP 182)
Egal,
- ob die Gefühle nun immer bereitliegen
- oder (als Halbdinge) nicht,
sie können (als kollektive Gefühle) von beliebig Vielen im Bereich ihrer Anwesenheit grundsätzlich empfunden werden, aber eben nur grundsätzlich, und faktisch erst, wenn die Voraussetzungen stimmen,
- sowohl bezüglich der im Erleben wirksamen Situationen (einschließlich der persönlichen Situation)
- als auch besonders bezüglich der leiblichen Empfänglichkeit. (S-WNP 184)
[M]ehrere Menschen können z.B. dieselbe Liebe als Situation und Atmosphäre teilen, nie aber dasselbe Lieben als affektives Betroffensein von der Atmosphäre. (S-WNP 202)
Objektivität der Gefühle
Sind Gefühle überhaupt "vorhandenes" Seiendes, unabhängig von lebendigen Wesen, die sie als jeweils spezifische Beziehung zu anderen Wesen oder zu ihrer eigenen Situation erleben?
Objektivität als Überpersönlichkeit
Objektivität als Autorität der Gefühle
Siehe: Autorität der Gefühle
Kritik an der Objektivität der Gefühle
Als Ertrag einer von der leiblichen Betroffenheit ausgehenden objektivistischen Gefühlstheorie kann man nun festhalten:
- Sie leistet einen starken Erklärungsansatz für das Fühlen im Raum und liefert dabei die Grundlage für das Verständnis sowohl der Wahrnehmung von Raumempfindungen wie auch von andren Menschen und deren Stimmungen im Raum.
- Die mit dieser Theorie gebundene Zurückweisung des Gefühlssubjektivismus - in der Form der Kritik an der von Schmitz so bezeichneten "Innenwelthypothese" - und die damit einhergehende Unterscheidung zwischen Gefühl und Fühlen des Gefühls, anerkennt die Leiblichkeit als das Fühlensorgan und macht die Anerkennung von Subjekten als Fühlende vom Vorliegen qualifizierter kognitiver Fähigkeiten unabhängig. Anerkennt man
- den eigenkreatürlichen Anteil emotionaler Leistungen, so werden Fühlende zu (Gefühls-)Weltgestaltern und mithin kraft ihrer Fühlensleistung aus der passiven patient-Rolle in einer aktive agent-Position gestellt. (AB-BuB 147)
Siehe:
- Kritik an der Atmosphärentheorie der Gefühle: Gefühle als Atmosphären
- Aktivität des Fühlens
Objektivität als Intersubjektivität
Siehe: Subjektivität, Objektivität, Intersubjektivität, Fremde Gefühle
Zwischenleiblichkeit der Gefühle
Gefühle und persönliche Stellungnahmen
Es gibt auch Legierungen von Gefühlen mit persönlichen Stellungnahmen. (Vgl: S-WNP 179)
Gefühl | Persönliche Stellungnahme |
---|---|
stürmischer Mut | Beherztheit |
Scham | Reue |
Treue | |
Zuverlässigkeit |
Reue ist wie Beherztheit kein bloßes Gefühl, sondern eine persönliche Stellungnahme auf Grund eines Gefühls, z.B. der Scham. (S-WNP 185)
Verfügen kann man über persönliche Stellungnahmen, und das auch nicht immer, das sie einem oft mit exigenter Nötigung (wie ich mich zur Unterscheidung von automatischer ausdrücke) abgedrungen werden können wie dem Beschämten von der Scham; nicht so verfügen kann man über Gefühle, die einen ergreifen. (S-WNP 187)
Persönliche Stellungnahmen können habitualisiert sein. (Vgl: S-WNP 187)
Umgangsweise mit dem Gefühl
Kulturelle Symbolisierung der Gefühle
Räumlichkeit der Gefühle
Gefühle sind
- keine privaten Bewusstseinszustände
- keinen Zustände psychischer Systeme
- keine unräumliche Innerlichkeiten
sondern räumliche Phänomene.
Räumlichkeit als Leiblichkeit
- Gefühle werden leiblich gefühlt, z.B. an Leibesinseln
Räumlichkeit als atmosphärische Umhüllung
Räumlichkeit als atmosphärische Durchdringung
Siehe: #Jenseits der Subjekt-Objekt-Spaltung
Räumlichkeit als Weite und Richtung
Räumlichkeit als Lokalisierbarkeit
- Position der Gefühle im Raum mittels Externalisierung
- Leibliche Stellvertreter spüren fremde Gefühle
Gefühle als Atmosphären
Gefühle "sind als ortlos ergossene Atmosphären zu bestimmen, die einen Leib, den sie einbetten, in der Weise des affektiven Betroffenseins heimsuchen, wobei dieses die Gestalt der Ergriffenheit annimmt." (S-III/2, 343)
Gefühle sind ... nicht private Seelenzustände sondern räumlich ergossene Atmosphären und leiblich ergreifende Mächte. (S-WNP 325)
Gefühl als überpersönlich, räumlich ausgebreitete, den Menschen leiblich ergreifende Atmosphäre. (Vgl: S-WNP 44)
Kritik von Brenner
Siehe: Aktivität des Fühlens
Kritik von Ferran
[D]ie Definition der Gefühle als Atmosphären kann in zwei Richtungen interpretiert werden, die beide problematisch sind.
- Eine Möglichkeit ist, dass der Leser diese Definition als Metapher interpretiert und dann den elaborierten metaphorischen Gebrauch der Neuen Phänomenologen übernimmt. Da dieses begriffliche Instrumentarium für die Neue Phänomenologie spezifisch ist, wird es unmöglich, es auf andere Begriffe aus aktuellen philosophischen Strömungen zu "übertragen". Es bleibt mitsamt seinen weiteren Differenzierungen selbstreferenziell, so dass ein Dialog mit der analytischen Tradition ... geradezu ausgeschlossen wird.
- Die andere Möglichkeit besteht darin, die Bezeichnung der Gefühle als Atmosphären wörtlich zu verstehen, was zu einer kaum glaubwürdigen Ontologisierung der Gefühle als eigene Entitäten führt. (IVF-DE 87)
Kritik von Demmerling
Christoph Demmerling dazu kritisch:
Es folgt eine Auflistung der Gründe, wieso Gefühle als Atmosphären bezeichnet werden können, oder auch nicht. (Kritik von Christoph Demmerling, in: AE-GaA, 48f)
Überpersönliche Gefühle
Auch in der Alltagssprache wird der Atmosphärenbegriff gebraucht, um Phänoneme zu beschreiben wie:
- heitere Stimmung eines Sommernachmittags am Badesee: als heiter-gelöste Atmosphäre
- die Erregung im Fußballstadion, die sich bei spielentscheidenden Szenen einstellt: als aufgeheizte Atmosphäre.
Doch auch alle überpersönlichen Gefühle bedürfen einer mitschwingenden Subjektivität, d.h. sind subjekt-relational und nicht ganz und gar subjektlos.
Gefühlskonstraste
Beispiel: Ein Fröhlicher, der in eine Trauergemeinde gerät, kann sich dort der vorherrschenden Trauer nicht entziehen.
Aber: Handelt es sich wirklich um einen Gefühlskontrast aufgrund des atmosphärischen Charakters des Gefühls oder aufgrund der Konfrontation mit Verhaltenserwartungen, aufgrund dessen wir unsere Verhalten und dann auch damit die Gefühle ändern?
Autorität der Gefühle
Wir werden von Gefühlen betroffen, die uns zu etwas nötigen. Gefühle "sind als ortlos ergossene Atmosphären zu bestimmen, die einen Leib, den sie einbetten, in der Weise des affektiven Betroffenseins heimsuchen, wobei dieses die Gestalt der Ergriffenheit annimmt." (S-III/2, 343)
Siehe: Objektivität als Autorität der Gefühle
Autorität der Gefühle im sozialen Sinne
Autorität in einem sozialen Sinne besitzen Gefühle deshalb, weil uns die Gefühle anderer bestimmte Verhaltensweisen auferlegen oder uns zu bestimmten Reaktionen zwingen können. Die Autorität der Gefühle hängt aber mit bestimmten kulturellen Emotionsnormen zusammen, die im Rahmen von sozialen Praktiken etabliert werden.
Autorität der Gefühle im individuellen Sinn
Gefühle können uns gegen unseren Widerstand ergreifen, d.h. können uns 'widerfahren', wie vieles was uns ausmacht, wie z.B. Gedanken, Erfahrungen etc. Diese Ergriffenheit muss nicht notwendig als Autorität erlebt werden. Zudem können wir uns auch selbst in Gefühle hineinsteigern, sie umdeuten, uns sie ausreden.
Siehe: Passivität des Fühlens
Sicherheit im Ausdruck
Der Hinweis auf Ausdruckssicherheit als Indiz für die Richtigkeit der Auffassung, Gefühle seien Atmosphären, leuchtet am wenigsten ein. Jede im weitesten Sinne naturalistische Erklärung von Gefühlen, z.B. sogar die Theorien der Affektprogramme von Charles Darwin über Paul Ekman bis hin zu Joseph LeDoux, bietet Erklärungen der Gebärdensicherheit. Man muss einfach davon ausgehen, dass Gefühle auf der Grundlage biologischer Mechanismen fest mit einem bestimmten Ausdrucksverhalten verdrahtet sind. (49)
Zugänglichkeit der Gefühle anderer
Gefühle anderer können direkt wahrgenommen werden, d.h. ohne Analogieschlüsse durchzuführen oder andere gedankliche Zwischenschritte einzuschalten. Wir nehmen die Gefühle anderer wahr, was aber nicht unbedingt heißt, dass uns die Gefühle anderer als objektive Atmosphären entgegentreten. (49)
Die Gefühle anderer sind uns deshalb zugänglich, weil sie mit bestimmten Arten von mimischen, gestischen und sprachlichem Ausdrucksverhalten verbunden sind. Zugänglich sind sie uns aber auch deshalb, weil wir mit den Situationen und Lebensumständen vertraut sind, in denen sich die Gefühle einstellen. (49)
Funktion von Sympathiegefühlen
Sympathiegefühle sind nicht notwendig "Ausläufer der Wellen fremden Leids oder fremder Freude". Derjenige, der mit jemandem fühlt, fühlt dabei nicht in derselben Weise wie derjenige, mit dem mitgefühlt wird. (z.B. die weihnachtliche Freude des Kindes)
Von der Umgebung entgegentretende Gefühle
Z.B. Mörikes Gedicht "Auf einer Lampe", nicht doch auch als projektive Phänomene deutbar?
Dissoziation
Feinfühlige, keineswegs verrückte Psychastheniker leiden darunter, dass die Gefühle nicht an sie herankommen; obwohl sie diese spüren, fehlt ihnen die volle Resonanz zum ungespaltenen Ergriffensein. (Vgl: S-WNP 201 Fußnote 128)
Die Konfrontation mit Gefühlen, ohne von diesem im Vollsinn betroffen zu sein, es fühlen zu können, ist eher ein Sonderfall als ein Normalphänomen.
Gefühle als Halbdinge
Gefühle sind Halbdinge ... durch zwei Merkmale:
- unterbrochene Dauer
- unmittelbare Kausalität
So sind Gefühle als Atmosphären, dem phänomenalen Befund nach, wechselnd an- und abwesend, ohne irgendwo beständig sein zu müssen, und wirken ergreifend unmittelbar ... (S-WNP 183)
Gefühle und leibliche Regungen
leibliche Regung | Gefühl |
---|---|
leibliches Behagen in der Badewanne | Behagen als Gefühl, geborgen zu sein in der Liebe eines Menschen oder eines harmonischen Familienkreises |
Atmosphäre reicht nicht über die Wanne hinaus | tragende Atmosphäre die bleibt, wohin er auch geht |
leibliche Mattigkeit, Müdigkeit | Schwermut |
(leibliches) Behagen | Heiterkeit als Gefühl |
Siehe: leibliche Regungen
Unscharfe Abgrenzung
Typische Gefühlsphänomene
- Strömungsempfindungen (Durchrieselt- oder Durchflutetwerden, Wallungen, Schaudern, Wärme- oder Kälteströmungen)
- Vibrationen oder Oszillationen (Zittern, Beben, Lachen, Herzklopfen)
- engenden und weitenden Richtungen (Beklommenheit, Verkrampfung; Öfnnung, Lösung)
- vertikale Richtungen (Sinken, Gedrückt- oder Gehobensein)
- expulsive oder emanative Richtungen (z.B. Bewegungsimpulse, Seufzen, Weinen)
Beispiele:
- Liebe wird als strömende Wärme und öffnende Weitung erfahren
- Scham treibt die Röte ins Gesicht
- Zorn steigt als Wallung auf, schwillt an, lässt erzittern oder erbeben
- Hass verzerrt die Gesichtszüge, "zerfrisst" oder macht "verbissen"
- Ekel zieht die Mundhöhle zusammen bei einem bitteren Geschmack
- Freude macht beschwingt und leicht, hebt empor oder beflügelt
- Enttäuschung bedeutet In-Sich-Zusammensinken ("aus allen Wolken fallen") oder abrupt eintretendes Leeregefühl
- Trauer oder Depression werden als Druck auf der Brust, Mühe des Amtens, Schwere der Glieder gespürt
- Vorfreude lässt "das Herz höher schlagen"
- Mitleid lässt es "aufgehen" (Lösung, Öffnung)
- peinliche Vorwürfe nehmen wir uns "zu Herzen"
- Kummer und Trauer machen "das Herz schwer" oder schnüren die Kehle zu (Beengung)
- Stolz und Mut sind mit schwellender Weitung der Brust verbunden
Beispiele für das affektive Betroffensein durch das Gefühl:
- Neid schleicht sich in mir ein
- Wut steigt in mir auf
- Trauer überfällt oder befällt mich
Siehe: Atopische Gefühle, sind diejenigen Gefühle, die man hat, weil man nicht auf seinem eigenen Ort steht.
Typen der Gefühle
Primäres Gefühl
Sekundäres Gefühl
Im Gegensatz dazu [zu den primären Gefühlen] fühlen wir uns im Angesicht von sekundären Gefühlen hilflos, auch ärgerlich. Wir fühlen uns benutzt. Durch sekundäre Gefühle zieht jemand die Aufmerksamkeit auf sich. Durch ein primäres Gefühl zieht niemand die Aufmerksamkeit auf sich. Wir sind mit ihm in eine Situation hineingekommen, in der wir mitfühlen, aber wir bleiben dennoch bei uns. Bei den sekundären Gefühlen ist es umgekehrt. Deswegen gilt bei sekundären Gefühlen: Nur nicht eingreifen. Das Hauptkriterium, um zu erkennen, ob es ein sekundäres Gefühl ist, sind die geschlossenen Augen.
Das sekundäre Gefühl folgt einem inneren Bild, nicht der Wirklichkeit. Weil es seine Kraft aus einem inneren Bild zieht, muss man dabei die Augen zumachen. (BH-Q 36)Übernommenes Gefühl
Meta-Gefühle
Räumliche Klassifikation der Gefühle
Weite
Die reinen Stimmungen zeichnen sich durch leere oder erfüllte Weite aus.
erfüllte Weite | leere Weite |
---|---|
Zufriedenheit | Verzweiflung |
Alle Gefühle sind getönt oder durchzogen von einer Grundschicht, die aus einer der beiden reinen Stimmungen Zufriedenheit oder Verzweiflung besteht. Ich verstehe diese Worte nicht im Sinn von erfolgter bzw. versagter Wunscherfüllung, sondern im Sinn von Atmosphären, die erfüllte oder leere Weite sind, erfüllt und leer in rein gefühlshaftem Sinn, ohne Beziehung zu körperlichen Stoffen, eher schon zu der Weise, wie Stille dicht sein kann. (S-WNP 48f)
Indem Zufriedenheit und Verzweiflung alle Gefühle mit erfüllter oder leerer Weite grundieren, geben sie ihnen die räumliche Ausdehnung in der Weise atmosphärischer Räumlichkeit ein, eine Weite wie die, aus der plötzliche Engung im Schreck den versonnen dahinlebenden, träumenden oder dösenden Menschen herausreißt. (S-WNP 49)
- Element: Luft
Gerichtetheit
Die reinen Erregungen geben der Weite des Gefühls Richtungen, aber noch kein thematisches Zentrum. (Vgl: S-WNP 50)
Die Richtungen der Gefühle können sein:
- einseitig sein
- hebend (Freude)
- drückend (Trauer)
- allseitig, bezogen auf den Betroffenen
- zentripetal (Bangnis als Anmutung des Unheimlichen, Scham)
- zentrifugal (ziellose Sehnsucht, ärgerliche Gereiztheit)
- beides (ambivalente, verheißungsvoll drohende Atmosphäre der Art, dass etwas, unbestimmt was, "in der Luft liegt", das Ahnungsvolle nach Goethe und Hölderlin, Wahnstimmung bei beginnender Schizophrenie). (S-WNP 50)
Element der Gerichtetheit: Feuer
Siehe: Richtung, Leibliche Richtung und gerichtetes Gefühl
Zentrierungsgrad
- vollständig zentriert - unvollständig zentriert
Der von einem zentrierten Gefühl Ergriffene ist vom Zentrum dieses Gefühls affektiv betroffen. Indem das zentrierte Gefühl mich ergreift, bringt es mir sein Zentrum nahe, so dass dieses mir nahe geht. (Vgl. S-WNP 185f)
Wenn es sich um ein zentriertes Gefühl handelt, dann kann man häufig ein doppeltes, gegabeltes Zentrum unterscheiden: den Verdichtungsbereich und den Verankerungspunkt.
Verdichtungsbereich | Verankerungspunkt | |
---|---|---|
wo sich das Thema sammelt (Mörder) | von wo her sich das Thema aufbaut (Tod) | |
Freude | an ewas | über etwas |
Zorn | auf jemand | über etwas |
Scham | gegen sich selbst | um eines Versagens willen |
Furcht | vor etwas | wegen einer davon drohenden Gefahr |
Original siehe: Zentrierungsbereiche
Möglich sind unterschiedliche Sättigungsgrade:
- Gesättigte Zentrierung: beide sind besetzt.
- Ungesättigte Zentrierung: der Verankerungspunkt fehlt noch, z.B. beim Grauen
- wenn der Verdichtungsbereich schon besetzt, z.B. ein grauenhafter Gegenstand
- aber der Verankerungspunkt fehlt noch, z.B. noch nicht gewusst wird, was von dem Gegenstand droht.
(Vgl: S-WNP 51)
Ruhe
- Elemente: Erde
- ruhig - unruhig
Tiefe
- Element: Wasser
- tief - flach
Beispiele
- Albernheit: leere, einseitig hebende, zugleich allseitig unumkehrbar zentrifugale, flache, unruhige, unvollständige zentrierte Erregung
- diffuse, bängliche "Vielbesorgtheit": das niederdrückendes, zentripetales Gegenstück zur Albernheit
- ernste gefasste Trauer: ruhig, einseitig niederdrückend, tief, erfüllt, meist vollständig zentriert mit Verdichtungsbereich und Verankerungspunkt, aber nicht allseitig gerichtet
- ruhige Zuversicht: Trauer mit hebender, zentrifugale Komponente
- Glück: ruhig, erfüllt, einseitig hebend gerichtet, tief
- Begeisterung: unruhig, einseitig hebend, zugleich allseitig unumkehrbar zentrifugal. tief, erfüllt oder auch flach und leer.
(S-III2 352)
Intentionalität
Zur Intentionalität der Gefühle gibt es zwei verschiedene Standpunkte:
- Alle Gefühle sind intensional (Bollnow, Scheler, Fuchs).
- Es gibt zwar intentionale (=zentrierte) Gefühle, aber auch viele mehr. (Schmitz)
Alle Gefühle sind intentional
Gefühle stellen eine bestimmte Form intentionaler Zuwendung dar, die leibliche Empfindung, äußere Wahrnehmung und Bewertung zu einer Einheit integriert. Sie sind nicht aus körperlichen und kognitiven Elementarerlebnissen zusammensetzbar, sondern einheitliche Erlebnisformen mit neuen phänomenalen Charakteristika, die in jenem Elementen nicht enthalten sind. (F-LRP, 233)
Daher lässt Schmitz auch Schelers oder Bollnows Annahme einer Intentionalität der Gefühle nicht gelten. (F-LRP 84)
Nicht alle Gefühle sind intentional
Man darf die Gefühle nicht auf die zentrierten (vermeintlich intentionalen) einschränken, und diesen, etwa wie Bollnow, die übrigen Gefühle bloß als Stimmungen gegenüberstellen. Damit zerreißt man den innigen Zusammenhang dieser Gefühlsgruppen in Hinsicht auf Fundierung, Übergänge und Verwandtschaft. Freude und Trauer kommen ebenso als unzentrierte wie als zentrierte Gefühle vor; ich erinnere gern an Mörikes Gedicht Verborgenheit. (Vgl.: S-WNP 186)
Siehe: Intentionalität
Gefühle und Situationen
Situationen sind meist durchzogen von Gefühlen. (Vgl: S-DzB 24)
gefühlsgeladen | gefühllos | |
---|---|---|
Situationen | häufigster Fall | Gefahren |
keine Situationen | Verstimmungen depressiver Psychotiker | - |
Siehe: Gefühle als Ausdruck von Situationen
Gefühllose Situationen
- Gefahren, in denen schlagartig reagiert werden muss
Situationslose Gefühle
- die Verstimmungen der Zyklothymiker und depressiven Psychotiker
- Bsp. Mörikes Gedicht "Verborgenheit"
Siehe: Atmosphären ohne Ausgangspunkt
Geschichte der Gefühle
Ab 500 v. Chr.: Privatisierung der Gefühle
Seit dem 5. vorchristlichen Jahrhundert sind Gefühle privatisiert worden, d.h. ihre atmosphärische Ergossenheit als leiblich ergreifende Mächte ... geht verloren zu Gunsten privater Lust und Unlust. (Vgl: S-WNP 349)
Die ergreifenden Atmosphären werden bei Platon durch transzendente Ideen ersetzt, wie das Gute, das nichts weiter als gut ist, das Schöne, das bloß noch schön und von allem sonstigen Inhalt gereinigt ist. (S-WNP 350)